Seine Risikofaktoren kennen
"Wer dick ist, wird noch immer ausgegrenzt. Ihm wird unterstellt, seinen Zustand selbst verschuldet zu haben. Dass es sich um eine komplexe Krankheit mit ganz verschiedenen Ursachen handelt, ist den meisten nicht bewusst", sagt Heinrich von Grünigen, Präsident der Schweizerischen Adipositas-Stiftung SAPS. Angesichts dieser Komplexität ist die Aufklärungsarbeit der SAPS zu den Ursachen und Folgen von Übergewicht sehr wichtig und wertvoll. Aber auch die Akzeptanz der Betroffenen zu verbessern, ist der SAPS ein grosses Anliegen. Denn die gesellschaftliche Ausgrenzung der Übergewichtigen verursacht viel Leid.
Doch wenn man das Übergewicht aus rein medizinischer Sicht betrachtet, ist ein weiterer Aspekt zentral: Übergewicht führt oft zu Folgekrankheiten. Die häufigsten sind entzündliche Gelenkerkrankungen, Fettleber, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, erhöhter Cholesterinspiegel sowie Gefässschädigungen. Letztere vier führen zu Herzinfarkt, Hirnschlag oder anderen schweren Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. Doktor Beissner, Adipositas-Spezialist am Diabetes Adipositas Zentrum Zürich (DAZZ) formuliert es so: "Niemand stirbt an Übergewicht. Doch massives Übergewicht führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verkürzung der Lebenserwartung."
Studien zeigen, dass beispielsweise ein 20-jähriger Mann mit einem Body Mass Index (BMI) von über 45 kg/m2 (z.B. 150 kg bei einer Körpergrösse von 180 cm) rund 12 Jahre früher stirbt als der Durchschnitt.
Doch der BMI alleine sagt nicht die ganze Wahrheit. Heute weiss man, dass andere Risikofaktoren unbedingt mit berücksichtigt werden sollten, wenn es darum geht, das individuelle Gesundheitsrisiko zu beurteilen. Wer neben dem Übergewicht noch weitere Risikofaktoren aufweist, sollte dringend etwas gegen die überschüssigen Kilos unternehmen. Denn so können körperliche Beschwerden und die Entstehung von voll ausgebildeten Krankheiten allenfalls verhindert werden, wie Dr. Beissern weiss: "Wenn eine stark übergewichtige Person zum Beispiel erst an der Schwelle zum Typ-2-Diabetes steht, die Krankheit aber noch nicht voll ausgebildet ist, braucht es noch keine Medikamente für eine "Trendwende". Die Gewichtsreduktion alleine kann den Schritt zum Diabetes verhindern oder entscheidend hinauszuzögern."
Darum ist es so wichtig, seine Risikofaktoren zu kennen. Gesundheits-Checks, die man selber ausfüllen kann, leisten hier gute Dienste für eine erste Einschätzung. SGT bietet zusammen mit ihren Partnern eine grosse Auswahl an Checks. Die wichtigsten in Bezug auf Übergewicht und verwandte Risikofaktoren sind:
- Analyse der Essgewohnheiten
- Analyse Getränkekonsum
- Bewegung
- Gewicht
- Kalorienbedarf
- Sportarten
- Diabetes
- Gesundes Herz
- Schlafapnoe-Risikotest
Doch wie gehe ich nun am besten vor, wenn der Check mir sagt, ich sei ein Risiko-Kandidat? Was gilt es zu beachten, wenn ich den Entschluss gefasst habe abzunehmen? SAPS-Präsident Heinrich von Grünigen: "Wichtig ist die Bereitschaft, bei einem BMI über 30 die Hilfe von Fachleuten anzunehmen. Das beginnt mit einer sorgfältigen Analyse der persönlichen Vorgeschichte und der Stoffwechselfunktion. Daraus leiten sich dann die therapeutischen Möglichkeiten ab."
Doktor Beissner unterteilt den Weg zum gesunden Körpergewicht in zwei Phasen: Am Anfang steht das eigentliche Abnehmen, also der Abbau von Fettmasse bis zum Zielgewicht. Im Anschluss folgt die Phase des Haltens. Hier gilt es, die erneute Gewichtszunahme zu verhindern. Beide Phasen sind nicht leicht. Das Halten ist aber besonders harte Arbeit, weil eine sehr starke Gegensteuerung im Körper überwunden werden muss.
Viele Wege führen zum Zielgewicht
"Gewicht verlieren können fast alle, die dazu motiviert sind", sagt Dr. Beissner. "Wie genau ich mein Zielgewicht erreiche, ist nicht so entscheidend. Wichtig ist, einen Ansatz zu wählen, der mir persönlich entspricht. Nur so habe ich Erfolg. Und der Erfolg motiviert!"
Es führen also viele Diät-Wege zum tieferliegenden Zielgewicht: Sowohl die drastisch und steil, als auch die behutsam und langsam absinkenden. An einer Reduktion der Energiezufuhr führt aber kein Weg vorbei. Das weiss auch Heinrich von Grünigen, der innerhalb von zwei Jahren 80 kg abgespeckt hat. "Nach vielen erfolglosen Versuchen hat bei mir die Kombination von striktem Verzicht auf Kohlenhydrate – eine sogenannt ketogene Ernährung – mit Akupunktur zum Erfolg geführt. Aber das ist nicht jedermanns Sache. Entscheidend ist, dass die Therapie mit den persönlichen Präferenzen und dem eigenen Lebensstil übereinstimmt."
Die Einen machen es gern "auf eigene Faust", andere bevorzugen ein definiertes, klar strukturiertes Programm und wieder andere sind in der Gruppe am meisten motiviert. Gut also, dass das Angebot an Diäten und Programmen dermassen gross und vielfältig ist. So findet hoffentlich jede und jeder etwas, das zu ihm passt. Doch in dieser Fülle kann rasch der Überblick verloren gehen. Darum präsentieren wir hier eine Auswahl von seriösen Diät-Programmen und stellen die Idee dahinter kurz vor.
Wir werden diese Liste laufend erweitern. Angesichts des umfangreichen Angebots wird sie aber nie abschliessend sein. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die Reihenfolge ist nicht als Gewichtung oder Priorisierung zu verstehen. Nichtsdestotrotz hoffen wir, dass die Auswahl hilfreich ist.
Viel entscheidender als die Frage, wie genau ich auf mein Zielgewicht runterkomme, ist für Dr. Beissner, ob ich mir schon zu Beginn einen Plan fürs "Halten" überlegt habe: "Viele Diät-Programme konzentrieren sich vor allem aufs Abnehmen – und werben hier mit spektakulären Erfolgen. Beim Halten lassen sie die Leute dann aber alleine. Dabei wäre gerade hier die Unterstützung enorm wichtig. Ohne Strategie fürs Halten brauche ich gar nicht erst abzunehmen."
Nur wer seinen Gegner kennt, kann ihn besiegen!
Warum ist es also so schwierig, sein erreichtes Zielgewicht zu halten und nicht in die Jo-Jo-Falle zu tappen? Dazu muss man wissen, dass der Körper seine Fettdepots genau überwacht und steuert. Sie sind ihm so wichtig, dass er sie nicht unserer willentlichen Kontrolle überlässt, sondern – nicht wahrnehmbar für unser Bewusstsein – selber reguliert, ähnlich wie zum Beispiel die Atmung, den Herzschlag oder die Körpertemperatur. Eine körpereigene Schaltzentrale bestimmt unseren Appetit, aber auch unseren Energieverbrauch bzw. wie effizient der Stoffwechsel mit der aufgenommenen Energie umgeht.
Dieses flexible System macht evolutionsbiologisch sehr viel Sinn. Schliesslich war der Mensch über Jahrtausende einem stetig wechselnden Nahrungsangebot ausgesetzt. Es überlebte nur, wer auch Zeiten des Mangels überstehen konnte – bzw. wer in guten Zeiten Fettreserven angelegt hatte. Doktor Beisser betont, dass unser Körper die Fettreserven auch heute noch als überlebenswichtig betrachtet: "Egal warum der Körper Fettmasse aufgebaut hat, er gibt sie nicht mehr her. Er wird sie für den Rest des Lebens verteidigen und hat dafür eine wirksame Strategie."
Die Strategie besteht darin, die Effizienz zu steigern, also mit weniger Energie, die gleiche Leistung zu erbringen. Studien mit Probandinnen haben gezeigt, dass der Stoffwechsel nach einer Diät bis zu 30% effizienter arbeitet als vorher. Dieser Sparmodus, die sogenannt metabolische Adaption, setzt bereits bei einem Verlust von nur gerade 4% der Fettmasse ein – und er bleibt aktiv, bis das Maximalgewicht wieder erreicht ist. Für die körpereigene Steuerung ist also nicht das "Normalgewicht" das Ziel, sondern das höchste je erzielte Gewicht.
So nützlich dieses Programm über Jahrtausende war, so sehr ist es uns heute beim Halten des Zielgewichts im Weg: Jede Kalorie, die der Körper wegen seinem effizienteren Stoffwechsel nun weniger benötigt, muss durch mehr Sport und Bewegung zusätzlich verbrannt werden. Und zwar für immer. Denn solange nicht das Maximalgewicht erreicht ist, bleibt der Stoffwechsel im Sparmodus und steigert weiterhin die Effizienz.
Für Dr. Beissner ist es matchentscheidend, dass Diätwillige über diese metabolische Adaptation Bescheid wissen: "Jede Massnahme für eine Gewichtsabnahme, muss dieser Gegenregulation Rechnung tragen. Ohne konkreten Plan bzw. den Willen, sie zu überwinden, lohnt sich die Diät nicht."
Man braucht also auch angesichts dieses mächtigen Gegners nicht gleich die Waffen zu strecken.
Mit der richtigen Strategie und starkem Willen kann die langfristige Gewichtskontrolle gelingen. Zudem kann man sich von einer Fachperson begleiten lassen. Oder aber man lernt von denen, die’s geschafft haben. Das National Weight Control Registry zeigt auf, was Menschen gemeinsam haben, die nach dem Abnehmen ihr Gewicht langfristig halten konnten.
In der ersten Phase – dem Abnehmen – steht also reduzierte Energiezufuhr im Zentrum. Auch wenn man hier auf Vieles verzichten muss – die Dauer dieser Phase ist beschränkt und der sichtbare Fortschritt motiviert. Fürs anschliessende Halten des Gewichts muss aber die Bewegung fester Bestandteil des Alltags werden. So ist auch eine massvolle Ernährung möglich, die Genusserlebnisse bietet. Eine lebenslange Hungerdiät hält schliesslich niemand aus.
Dr. med. h.c. Heinrich von Grüningen
Schweizerische Adipositas-Stiftung SAPS
Präsident des Stiftungsrates Leiter Geschäftsstelle
Dr. med. Philippe Beissner
Diabetes Adipositas Zentrum Zürich (DAZZ) in Zollikerberg
Facharzt FMH für Innere Medizin Mitglied SAPS Stiftungsrat